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Um es gleich vorwegzunehmen: Unsere Erwartungen machen uns das Leben schwer. Wir denken ständig über sie nach und haben mit ihnen zu tun. Doch: wie eine Erwartung entsteht und was passiert, wenn nicht eintritt, was wir uns erwartet hatten – das ist im Alltag selten Thema. Dabei ist es oft entlastend und erhellend, darüber bewusst nachzudenken was unsere Erwartung war, warum sie sich nicht bestätigt hat und wie wir diese Situation erleben. Dieser Artikel gibt ein paar Hinweise und Denkanstöße und führt vielleicht dazu, dass man sich nach der Lektüre auf die nächste Enttäuschung freut.

Was ist eine Erwartung?

Erwartung kommt vom lateinischen „expectatio“ bzw. „exspectare“ was Ausschau, Vorausschau, Vermuten, Sehnen, Hoffen oder Befürchten bedeutet. Ich blicke also von meinem aktuellen Standpunkt durch meine in dem Moment bzw. in der Rolle üblicherweise unbewusst gewählte „Brille“ und stelle mir ein Ergebnis vor.  Ich habe eine Erwartung.

Die Erwartung hat immer die Enttäuschungsgefahr an der Hand, da wir die Situationen oder Ergebnisse kaum kontrollieren können. Es besteht also die Gefahr, dass ich ent-täuscht werde, was einerseits meine Fähigkeit, eine richtige Vorausschau zu machen, schwächt und mich andererseits traurig macht, weil meine Wünsche nicht erfüllt wurden. Darüber hinaus zeigt eine solche Ent-Täuschung, dass ich die Kompetenz oder die Interessen der involvierten Personen falsch eingeschätzt habe. So ist das halt, das Leben besteht aus Enttäuschungen.

Zum Glück! Denn mit jeder Enttäuschung nähere ich mich ja der Erkenntnis, und lerne über mich und meine Umwelt. Eine bewusst erlebte Ent-Täuschung als Ergebnis einer Erwartung ermöglicht, mir meiner Erwartungen („ich sehe die Welt nicht so wie sie ist, sondern wie ich bin“) bewusst zu werden. Im Ergebnis gibt es viel zu lernen. Was ist schon normal in einer so komplexen Welt? Wahrscheinlich ist „normal“ eine Ausnahme und die Erfüllung all meiner Erwartungen demnach auch.

Für wen ist das Thema wichtig?

In unserem Arbeitskontext, also der Organisationsentwicklung, der Zusammenarbeit unterschiedlicher Akteur:innen innerhalb verschiedener Prozesse und nicht zuletzt der Persönlichkeitsarbeit und Reflektion der eigenen Rolle, spielen Erwartungen an unterschiedlichsten Stellen – wenn nicht sogar immerzu – eine große Rolle.

  • Kommunikation ist das, was ankommt: Kommunikation ist komplizierter als man denkt. Nämlich so kompliziert, dass sie klassischerweise unterschätzt wird. Mit dem Blick auf Erwartungen versteht man unter Kommunikation meist: Eine Person beschreibt eine Aufgabe oder äußert einen Wunsch und geht davon aus, dass die Empfängerin oder der Empfänger versteht, was gesagt wurde – und dementsprechend handelt.  
  • Beauftragung von Berater:innen: Die Erwartungshaltung des Kunden / der Kundin ist (gerade zu Beginn) oft eindeutig: „Löse mein Problem!“. Die Haltung (und manchmal auch der Anspruch) von Beratenden ist dagegen oft: „Ich helfe dir dabei, selbst zu Antworten zu kommen“.
  • Führungserwartung: Wie bewältigt eine Führungskraft so paradoxe Erwartungen wie Nähe–Distanz, Eigenständigkeit–Verbundenheit, Stabilität–Veränderung, Vertrauen–Kontrolle oder Freiheit–Verbindlichkeit?
  • Veränderungsprozesse und Flexibilität: Die Menschen im Arbeitsleben sind aufgrund ihrer unterschiedlichen Erwartungen und Selbsteinschätzung sehr sensibel, was z.B. die Veränderungen bei einem Tätigkeitswechsel betrifft. Der bewusste Umgang mit Erwartungen kann dabei helfen, die Veränderungen als Teil der „inneren Karriere” zu verstehen.
  • Eintritt in die Arbeitswelt: Der Eintritt in die Arbeitswelt beginnt für den/die Anfänger:in mit einer Vielzahl von Erwartungen, Hoffnungen, Ängsten und Illusionen, meist jedoch mit relativ wenig Reflexion der eigenen Person, insbesondere im beruflichen Kontext.
  • Stellenbeschreibung / Funktion / Rolle: Einer funktionalen Rolle werden aufgrund ihrer Bezeichnung bestimmte Ergebniserwartungen, aber auch Perspektiven und Ausrichtungen zugeschrieben. Die Rollenträgerin wird mit unausgesprochenen Erwartungen konfrontiert. Die Zuschreibungen vom Umfeld führen zu  Widersprüchen, die die Rollenträgerin bewältigen muss. Auch für den Beratungskontext ist das wichtig: Habe ich gerade die Rolle der Berater:in oder der Moderator:in?

Wie kann ich das Wissen anwenden?

Glauben ist nicht wissen. Der richtige Umgang mit Erwartungen ist einerseits schon das Wissen, was es mit ihnen auf sich hat und andererseits das bewusste Einsetzen meines Nichtwissens. Wenn ich das, was ich wirklich weiß, von dem unterscheiden kann, was ich nicht weiß oder nur glaube zu wissen (also annehme), kann ich meine Unkenntnis als Schlüssel einsetzen, um Wissen zu erlangen. [ML1] 

Was bringt Erwartungsmanagement?

Um in der Beratungsarbeit einen „Schuss ins Dunkle“ mit geringen Erfolgsaussichten zu vermeiden, ist eine umfassende Auftragsklärung essenziell. Anders als bei der Beauftragung einer Expertin, welche eine bestimmte Aufgabe durchführen soll, ist für den Erfolg eines Veränderungsprojektes entscheidend, dass die Auftraggeberin aktiv an der Durchführung der Veränderungsmaßnahme beteiligt ist.

Sogenannte „Kontraktverhandlungen“ sind Verhandlungen über eine mögliche Kooperation zwischen einer potenziellen Auftraggeberin (der Organisation, also z.B. einem Museum, einem Energielieferanten, einer Werbeagentur) und einem Unterstützer/Berater wie uns. Ähnlich wie bei einer Vertragsverhandlung trifft man Vereinbarungen zum (weiteren) Beratungsprozess und der Projekt- und Zeitplanung, zu gegenseitigen Rollen und Verantwortlichkeiten, zu den möglichen Bedingungen der weiteren Zusammenarbeit und dem auftretenden Zeitaufwand bzw. den Kosten.

Eine gute Auftragsklärung verhindert enttäuschte Erwartungen sowie eine Vielzahl an möglichen späteren Konflikten und inhaltlichen Missverständnissen. Sie trägt somit auch zum Wohlbefinden aller während und nach dem gemeinsamen Projekt bei: Alle sind sich darüber bewusst, worauf sie sich eingelassen haben.

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